Birgit Rodolphe, Exekutivdirektorin Abwicklung und Geldwäscheprävention, spricht über die wichtigsten Aspekte der Regulierung von dezentralen Finanzdienstleistungen (DeFi) und die Vorgehensweise der BaFin.
Frau Rodolphe, die Entwickler von DeFi-Angeboten sagen, dass sie für ihre Geschäfte keine Erlaubnis der Finanzaufsichtsbehörden benötigen. Ihr Argument: Es handele sich um technologisch neuartige Angebote, die über das Internet verbreitet werden. Die bestehenden Gesetze seien für den traditionellen Finanzmarkt geschaffen worden und hier nicht anwendbar. Teilen Sie diese Auffassung?
Birgit Rodolphe : „Nein, diese Schlussfolgerung halte ich für falsch. Ja, unser Aufsichtsrecht wurde zum großen Teil geschaffen, als von DeFi-Angeboten noch nicht die Rede war. Dieses Aufsichtsrecht hat aber zwei Kernziele, die auch für DeFi-Angebote gelten – ganz besonders sogar: Nämlich für ein stabiles und transparentes Finanzsystem zu sorgen und Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen. Und was den Verbraucherschutz angeht, sehen wir bei DeFi-Angeboten erhebliche Missstände. Davon abgesehen sind DeFi-Angebote technologisch gesehen zwar neu und in einigen Aspekten anders als das, was wir vom traditionellen Finanzmarkt kennen. Grundlegend anders sind sie in ihrer Funktionsweise aber nicht. Sie bieten die Möglichkeit, Finanzprodukte und -dienstleistungen zu nutzen, die wir bereits aus dem traditionellen Finanzmarkt kennen. Der Unterschied ist lediglich, dass es kein Unternehmen gibt, das als Anbieter auftritt. Es fehlen also die bekannten Finanzdienstleister als Intermediäre. Häufig sind DeFi-Angebote aber nicht komplett dezentral, und es kann ein Anbieter identifiziert werden. Kontrolliert eine Gruppe oder Institution das Projekt und wird sie auch noch an den Erträgen beteiligt, spricht aus Aufsichtsperspektive alles dafür, diese Akteure auch als Betreiber einzustufen. In einem solchen Fall gilt dann natürlich unser Aufsichtsrecht. Das heißt hier bestehen dann Erlaubnispflichten und klassische Aufsichtsinstrumente wie Prüfungen können angewendet werden.
Wie geht die BaFin hier vor?
Birgit Rodolphe : „Bei DeFi-Angeboten gehen wir in zwei Schritten vor: Zuerst prüfen wir, ob das jeweilige DeFi-Geschäftsmodell mit einem Angebot des traditionellen Finanzmarktes vergleichbar ist, für das eine Erlaubnis der BaFin erforderlich ist. Es gibt zum Beispiel Plattformen, die den Handel mit Finanzinstrumenten ermöglichen oder wie ein Fonds Kundengelder investieren. Wenn wir das DeFi-Geschäftsmodell für vergleichbar halten, schauen wir, ob wir einen Betreiber ermitteln können und ob sich das Angebot an den deutschen Markt richtet. Stellen wir fest, dass ein DeFi-Angebot diese Voraussetzungen erfüllt, der Anbieter aber ohne unsere Erlaubnis unterwegs ist, können unsere Aufseherinnen und Aufseher verschiedene Maßnahmen ergreifen. Sie können zum Beispiel Informationen und Unterlagen zu den konkreten Geschäften anfordern, die Tätigkeit untersagen und abwickeln oder vor den Anbietern warnen. Dazu veröffentlichen wir Informationen auf unserer Website und über Newsletter.“
DeFi ist ein sehr dynamisches Feld. Berücksichtigen Sie das in der Aufsichtspraxis?
Birgit Rodolphe : „Ja, wir schauen uns natürlich die aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich an und entwickeln unsere Verwaltungspraxis zu DeFi-Angeboten kontinuierlich weiter. So haben wir z.B. entschieden, dass die Aggregation und Aufbereitung von Angeboten aus Liquidity Pools als Anlagevermittlung gelten kann. Liquidity Pools sind Smart Contracts, in die Anlegerinnen und Anleger Kryptowerte einlegen, die dann anderen Nutzerinnen und Nutzern als Liquidität zum Tausch verschiedener Token bereitstehen. Wenn Anbieter die Tauschangebote und Kurse aus diesen Pools besonders übersichtlich zusammenstellen und den Tausch bewerben, kann man das so werten, dass sie bewusst und final auf die Abschlussbereitschaft der Anlegerinnen und Anleger einwirken. Vor allem dann, wenn hier Trades mit einem Klick abgeschlossen werden können und die Anbieter die Kauferklärungen für die Nutzerinnen und Nutzer weiterleiten. In einem solchen Fall ist die Tätigkeit des Anbieters als Anlagevermittlung einzustufen. Das bedeutet, dass der Anbieter eine Finanzdienstleistung erbringt und dafür unter anderem eine Erlaubnis der BaFin benötigt.“
Ihre Einschätzung: Braucht es in Zukunft überhaupt eine DeFi-spezifische Regulierung?
Birgit Rodolphe : „Wir müssen DeFi erst noch weiter beobachten. Der deutsche Gesetzgeber hat bisher das Kreditwesengesetz oder andere Aufsichtsgesetze nicht mit neuen Regeln für DeFi-Angebote angepasst. Das liegt vielleicht auch daran, dass solche Angebote in Deutschland bislang nur wenig genutzt werden. Aus regulatorischer Sicht sind die Innovationen im Moment eher ein technologisches Thema. Ein weiterer Grund dürfte die Verabschiedung der europäischen Kryptoverordnung MiCAR sein. Die Markets in Crypto-Assets Regulation gilt in wesentlichen Teilen bereits Mitte 2024. Sie führt unter anderem EU-einheitliche Regelungen für die Ausgabe bestimmter Arten von Kryptowerten und darauf bezogene Dienstleistungen ein. MiCAR gilt, wie auch unsere bisherige nationale Gesetzgebung, nur für Angebote mit einem identifizierbaren zentralen Betreiber. Vollständig dezentrale Angebote sollen davon nicht erfasst sein. Unser Ansatz wird also weiterhin sein, Entwickler und Entwicklerinnen oder Governance-Token-Inhaber und -Inhaberinnen zu identifizieren, die als Betreiber fungieren. Auf sie können die Regelungen der MiCAR dann angewendet werden. Ob es in der Zukunft eine DeFi-spezifische Neuregelung braucht, hängt davon ab, wie sich DeFi weiterentwickelt und wie sich die Harmonisierung der gesetzlichen Regeln durch MiCAR auf den Markt insgesamt auswirkt.“
Sie haben gesagt, dass bei DeFi meist doch ein zentraler Betreiber identifiziert werden kann. Viele Angebote sind also nur vermeintlich dezentral. Aber es gibt auch dezentrale Angebote, Tendenz steigend. Welche Optionen hat die Aufsicht in einem dezentralen Markt?
Birgit Rodolphe : „Als Aufsicht verfolgen wir in einem dezentralen Markt grundsätzlich die gleichen Ziele wie im traditionellen Finanzmarkt. Wie ich schon sagte: Das sind in erster Linie Finanzstabilität und Verbraucherschutz. Um diese Ziele zu erreichen, stehen uns verschiedene Optionen zur Verfügung: Bei wirklich dezentralen Angeboten sind unsere Möglichkeiten aber mangels Betreiber stark eingeschränkt. In solchen Fällen kann die BaFin nur vor problematischen Angeboten warnen und versuchen, die Nutzerinnen und Nutzer aufzuklären – zum Beispiel auf unserer Website. Die Aufsicht über dezentrale Märkte ist ein komplexes Thema, das noch in der Entwicklung ist. Die Aufsichtsbehörden beobachten diese Entwicklung und erarbeiten geeignete Instrumente und Strategien, um die Risiken für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie das Finanzsystem zu reduzieren.“
Quelle : BaFin Journal
Fotocredit: Pavel Becker / BaFin