Die Ankündigung der Financial Conduct Authority (FCA) in London, Banken ab Ende 2021 nicht mehr zur Meldung von Zinssätzen zur Berechnung des Libor anhalten oder verpflichten zu wollen, könnte möglicherweise breitflächige und erhebliche Auswirkungen für Finanzinstitute, Anleger, Kapitalgesellschaften und ausgewählte Privatkunden mit sich bringen. Das geht aus einer aktuellen Studie der Strategieberatung Oliver Wyman hervor.
Die London Interbank Offer Rate (Libor) dient als weltweiter Referenzzinssatz für Finanzprodukte für Geschäfts- und Privatkunden im Wert von mehr als 240 Billionen US-Dollar. Darunter Unternehmensanleihen, variabel verzinsliche Anleihen, Derivate, Hypotheken und andere Wertpapiere. Die Umstellung auf alternative Referenzzinssätze dürfte sich schwierig gestalten, falls Risiken und Herausforderungen nicht proaktiv angegangen werden wie aus der Studie der Berater von Oliver Wyman hervorgeht. Zwar wurden für den Großteil der am häufigsten verwendeten Libor Währungen bereits alternative Referenzzinssätze vorgeschlagen, diese unterscheiden sich jedoch strukturell nicht nur vom Libor, sondern auch untereinander, weshalb eine Umstellung höchstwahrscheinlich nicht nahtlos vonstattengehen wird.
Abgesehen von den finanziellen und operativen Risiken, die sich aus der Umstellung auf neue Referenzzinssätze ergeben, könnten auf die Banken wesentliche verhaltensbezogene, reputationsbezogene und rechtliche Risiken zukommen. Die Finanzinstitute müssen für die Umstellung eine vertretbare, konsequente und nachvollziehbare Herangehensweise festlegen und diese ihren Kunden, das heißt Konzernen, anderen Finanzinstituten und Millionen von Privatkunden, klar darlegen.
„Der Libor ist heutzutage ein wichtiger Eckpfeiler für viele Finanzaktivitäten. Eine Abkehr vom Libor würde sich auf verschiedenste Produkte, Geschäftsbereiche, Systeme und Prozesse auswirken und sich auch für Kunden und Kontrahenten bemerkbar machen. Es besteht ein durchaus ernstzunehmendes Potenzial für negative öffentliche Reaktionen, Verhaltensrisiken und Rechtsstreitigkeiten“, so Finja Carolin Kütz, Deutschlandchefin von Oliver Wyman.
Als Eckpfeiler vieler Finanzierungsaktivitäten ist der Libor mitnichten ein Thema, welches ausschließlich die Finanzbranche betrifft – sondern auch ein Thema der Realwirtschaft. Unternehmensfinanzierungen und vor allem Absicherungen von Währungsschwankungen und Zinsen referenzieren den Libor sowie in Teilen auch Vertragskonditionen für Rohstoffe. Damit wird die Umstellung von Libor auf andere Referenzwerte direkt Ertrags- und gegebenenfalls sogar Bilanzrelevant. Während sich in Deutschland die Realwirtschaft bei dem Thema noch eher zurückhält, sitz zum Beispiel in UK mit Shell einer der ganz großen Konzerne in der Working Group von Bank of England und Financial Conduct Authority mit am Tisch, um gemeinsam mit den Banken und der Aufsicht die Umstellung zu begleiten.
Weitgehende Entwarnung geben die Berater mit Blick auf Deutschland für die Privatkunden. Die deutsche Besonderheit, dass Hypothekardarlehen großteils einen festen Zinssatz haben, ist hier von Vorteil.
Trotz der Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Abkehr vom Libor ermahnt die Studie die Finanzinstitute und Unternehmen, sich allmählich auf die Umstellung vorzubereiten. Um den Übergangsprozess leichter zu gestalten, sollten unmittelbare Gelegenheiten zum Dialog mit Aufsichtsbehörden und Branchenverbänden genutzt werden. Unternehmen sollten zudem in der Lage sein, rasch zu bewerten, welche Bereiche intern betroffen sein könnten. „Auch für Deutschland wird diese Entwicklung Auswirkungen haben – wie ihre Wettbewerber in anderen Ländern handeln auch deutsche Finanzdienstleister mit einer Reihe von Produkten, denen der Libor zugrunde liegt“, sagt Kütz.
Ersten brancheninternen Schätzungen zufolge könnten sich die Kosten der Umstellung für einige Banken auf mehr als 200 Millionen US-Dollar belaufen und damit ähnlich hoch ausfallen, wie die Kosten für jüngste regulatorische Veränderungen, beispielsweise im Rahmen von MiFID II, oder für vergangene Umstellungen, wie die Euroumstellung oder den Y2K-Bug. Der Bericht ruft zu Bewusstsein und Handeln auf und empfiehlt, die Planungen für die Umstellung rasch ganz oben auf die Managementagenda zu setzen.
„Eine Beendigung des Libor scheint zwar noch in weiter Ferne zu liegen, die Tragweite der Umstellung und das ihr innewohnende Potenzial für finanzielle Auswirkungen bedeuten jedoch, dass die Finanzinstitute sich bereits jetzt darauf vorbereiten sollten“, sagt Thomas Schnarr, Partner bei Oliver Wyman.
Quelle: Oliver Wyman