Vereinigtes Königreich verklagt vor dem Europäischen Gerichtshof wegen nicht vollständiger Rückforderung rechtswidriger Steuerbefreiungen in Gibraltar

21 März 2021
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Die Europäische Kommission hat beschlossen, das Vereinigte Königreich vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu verklagen, weil es unzulässige staatliche Beihilfen von bis zu rund 100 Mio. EUR, die als Steuerbefreiung für passive Zinsen und Nutzungsentgelte in Gibraltar gewährt wurden, nicht vollständig zurückgefordert hat. Diese Rechtssache betrifft Sachverhalte, die vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union stattgefunden haben. Am 19. Dezember 2018 erließ die Kommission einen Beschluss über die Körperschaftsteuerbefreiung für passive Zinsen und Nutzungsentgelte in Gibraltar, die zwischen dem 1. Januar 2011 und dem 30. Juni 2013 bzw. zwischen dem 1. Januar 2011 und dem 31. Dezember 2013 galt, sowie fünf Steuervorbescheide, die zwischen 2011 und 2013 erteilt wurden. In dem Beschluss wurden diese Maßnahmen für rechtswidrig und mit den Vorschriften über staatliche Beihilfen unvereinbar erklärt, weshalb die Beihilfe von den Begünstigten zurückzufordern sei. Nach den EU-Beihilfevorschriften müssen rechtswidrige staatliche Beihilfen grundsätzlich zurückgefordert werden, um die verursachte Verfälschung des Wettbewerbs zu beseitigen.

Die für Wettbewerbspolitik zuständige Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager erklärte dazu: „Die von Gibraltar gewährte Beihilfe in Form einer Befreiung von der Körperschaftsteuer für passive Zinsen und Nutzungsentgelte verschaffte einigen multinationalen Unternehmen einen unfairen Vorteil und musste deshalb vom Vereinigten Königreich und von den Behörden Gibraltars zurückgefordert werden. Mehr als zwei Jahre nach Erlass dieses Kommissionsbeschlusses ist die Beihilfe jedoch immer noch nicht vollständig zurückgezahlt worden, und es wurden keine ausreichenden Fortschritte bei der Wiederherstellung des Wettbewerbs erzielt. Deshalb haben wir beschlossen, das Vereinigte Königreich wegen Nichtumsetzung dieses Beschlusses vor dem Gerichtshof zu verklagen.“

Nach den üblichen Verfahren mussten die Behörden Gibraltars den Kommissionsbeschluss bis zum 23. April 2019 (d. h. vier Monate nach seiner offiziellen Bekanntgabe) umsetzen und bis dahin alle rechtswidrigen Beihilfen zurückfordern. Bis zur vollständigen Rückzahlung der rechtswidrigen Beihilfen profitieren die Empfänger weiterhin von einem unzulässigen Wettbewerbsvorteil, weshalb die Rückforderung so schnell wie möglich erfolgen muss.

Gemäß den Artikeln 95 Absatz 1 und 87 Absatz 2 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft ist die Kommission berechtigt, das Vereinigte Königreich vor dem Gerichtshof zu verklagen, wenn es einen vor Ablauf des Übergangszeitraums (d. h. vor dem 31. Dezember 2020) erlassenen Beschluss der Kommission nicht umgesetzt hat. Artikel 87 Absatz 2 bestätigt auch die Zuständigkeit des Gerichtshofs in diesen Rechtssachen.

Die Kommission stand während des gesamten Rückforderungsverfahrens in regelmäßigem Kontakt mit den Behörden Gibraltars. Letztere haben bereits einen Teil der rechtswidrigen Beihilfen von den Empfängern zurückgefordert. Mehr als zwei Jahre nach dem Beschluss der Kommission haben die Behörden Gibraltars jedoch noch nicht alle rechtswidrigen Beihilfen zurückerlangt: Die Behörden nannten vier Beihilfeempfänger, für die die Rückforderungsanordnung erlassen wurde, doch wurde die Rückforderung nur von zwei von ihnen geleistet, und weniger als 20 % des gesamten rechtswidrigen Beihilfebetrags wurden zurückgezahlt. Die Rückforderungen von Mead Johnson Nutrition (Begünstigter eines Steuervorbescheids) und von Fossil (Begünstigter der rechtswidrigen Beihilferegelung) sind noch nicht bzw. nur zum Teil abgeschlossen.

Die Kommission hat daher beschlossen, das Vereinigte Königreich gemäß Artikel 108 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen, weil es den Beschluss der Kommission nicht umgesetzt hat.

Hintergrund

Nach dem Austritt aus der Europäischen Union ist das Vereinigte Königreich kein Mitgliedstaat mehr. Das Vereinigte Königreich ist jedoch nach wie vor verpflichtet, die rechtswidrig gewährten Beihilfen vollständig zurückzufordern, da sich die Verpflichtung aus einem Beschluss der Kommission ergibt, der erlassen wurde, als das Vereinigte Königreich Mitglied der Europäischen Union war. Darüber hinaus besteht in diesem konkreten Fall weiterhin die Möglichkeit, das Vereinigte Königreich vor dem Gerichtshof zu verklagen, da es sich bei dieser Klage um einen Beschluss der Kommission handelt, der vor Ablauf des Übergangszeitraums erlassen wurde.

Mead Johnson Nutrition hat gegen den Beschluss der Kommission Rechtsmittel beim Gericht der Europäischen Union eingelegt (Rechtssache T-508/19). Mit einer Nichtigkeitsklage gegen einen Beschluss der Kommission wird die Verpflichtung zur Rückforderung rechtswidriger Beihilfen nicht ausgesetzt (Artikel 278 AEUV). Mead Johnson Nutrition und Fossil haben zudem vor nationalen Gerichten Klage gegen die nationalen Einziehungsanordnungen erhoben. Im Rahmen der nationalen Rechtssache Fossil hat das Gibraltar Income Tax Tribunal dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt (Rechtssache C-705/20). In der Zwischenzeit haben die zuständigen Behörden des Vereinigten Königreichs und die nationalen Gerichte die Rückforderungsanordnungen aufgeschoben oder ausgesetzt.

Die Mitgliedstaaten müssen rechtswidrige staatliche Beihilfen innerhalb der in dem Kommissionsbeschluss festgelegten Frist, die in der Regel vier Monate beträgt, zurückfordern. Aus diesem Grund sehen Artikel 16 Absatz 3 der Verordnung (EU) 2015/1589 und die Rückforderungsbekanntmachung der Kommission vor, dass die Mitgliedstaaten die betreffende Beihilfe unverzüglich und effektiv vom Empfänger zurückfordern müssen. Darüber hinaus darf das nationale Gericht in Fällen, in denen eine nationale Verfahrensvorschrift eine sofortige und/oder tatsächliche Rückforderung verhindert, diese Vorschrift nicht anwenden, sondern muss die Rechtsverbindlichkeit des Kommissionsbeschlusses sicherstellen (siehe Rückforderungsbekanntmachung der Kommission).

Die Notwendigkeit, den Kommissionsbeschluss zügig umzusetzen und einen fairen Wettbewerb auf dem Markt wiederherzustellen, indem die rechtswidrigen Beihilfen, die die Begünstigten zum Nachteil der Wettbewerber erhalten haben, zurückgefordert werden, wird durch die Auswirkungen des Coronavirus-Ausbruchs nicht beeinträchtigt.

Kommt ein Mitgliedstaat einem Rückforderungsbeschluss nicht nach, so kann die Kommission nach Artikel 108 Absatz 2 des AEUV beim Gerichtshof der Europäischen Union Klage gegen ihn erheben. Damit hat die Kommission die Möglichkeit, bei Verletzungen der EU-Beihilfevorschriften direkt den Gerichtshof anzurufen.



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