Studie zur deutschen Zentralbankgeschichte vorgestellt – Historiker im Interview

25 März 2024
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Im Jahr 2017 hat die Bundesbank ein großangelegtes Forschungsprojekt zur Geschichte der Reichsbank, der Bank deutscher Länder und der Anfangsjahre der Bundesbank gestartet. Die beiden renommierten Historiker Magnus Brechtken und Albrecht Ritschl wurden beauftragt, die Geschichte der Reichsbank als Zentralbank während der NS-Zeit zu erforschen. In dem Projekt „Von der Reichsbank zur Bundesbank“ untersuchte ein wissenschaftliches Team zudem das personelle Fortwirken nach den Gründungen der Zentralbanken Bank deutscher Länder und der Deutschen Bundesbank in der Nachkriegszeit. Die Bundesbank hat selbst eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte gesucht“, sagte Bundesbankpräsident Joachim Nagel bei der Vorstellung der Studie durch die beiden Geschichtsprofessoren. „Bislang fehlte aber ein umfassendes Bild der deutschen Zentralbankpolitik – vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg“, erläuterte Nagel. Dieses Bild gebe es nun. Die vorgelegten Ergebnisse zeigen unter anderem, dass die Reichsbank zum Funktionieren des NS-Systems von 1933 bis 1945 bedeutend beitrug. Zudem wurde in der Nachkriegszeit auf ehemaliges Personal der Reichsbank nach dessen Entnazifizierung zurückgegriffen, zunächst in der Bank deutscher Länder, dann in der Bundesbank.

Keine Kontinuität gab es allerdings bei der Institution selbst: Weder die 1948 gegründete Bank deutscher Länder noch die 1957 errichtete Bundesbank sind Rechtsnachfolger der Reichsbank. Jegliches Gold der Reichsbank wurde von den Alliierten konfisziert. Die Bundesrepublik Deutschland besaß nach dem Zweiten Weltkrieg keine Goldreserven. Die heutigen Goldbestände entstanden seit den 1950er Jahren durch die Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands.

Die Historiker im Interview

Herr Brechtken, Herr Ritschl, mit der von Ihnen geleiteten Studie leistet die Bundesbank einen Beitrag dazu, ihre eigene Geschichte einschließlich der ihrer Vorgängerinstitutionen, der Reichsbank und der Bank deutscher Länder, wissenschaftlich zu erforschen und aufzuarbeiten. In welcher geschichtswissenschaftlichen Tradition bewegt sich die Bundesbank in diesem Kontext?

Magnus Brechtken: Die Zeitgeschichte interessiert sich seit rund fünfzehn Jahren verstärkt für die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen von der Weimarer Republik über die Zeit der NS-Herrschaft bis zur frühen Bundesrepublik. Wir wissen, dass viele Angehörige der sogenannten Funktionseliten in allen drei politischen Systemen gearbeitet und bisweilen an zentralen Stellen gewirkt haben. Die Fragen, die sich dabei stellen, lauten: Wie dachten diese Menschen über die Jahrzehnte? Wie verhielten sie sich? Und wie gelang es nach dem Scheitern der Republik und den Verbrechen der NS-Diktatur, mit oft demselben Personal eine bald stabile Demokratie in Westdeutschland aufzubauen? Viele Ministerien und öffentliche Institutionen haben das inzwischen untersuchen lassen.

Welche neuen Akzente setzt die von Ihnen geleitete Studie im Vergleich zu früheren Untersuchungen zur Geschichte der Reichsbank und ihrer Nachfolgeinstitutionen?

Brechtken: Bei der Untersuchung der Rolle von Personen einerseits und der Institution Reichsbank und ihrer Nachfolgeinstitutionen andererseits standen bisher stets einige prominente Akteure im Mittelpunkt, allen voran Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht. Das hatte zunächst seine Berechtigung, weil er der einflussreichste Akteur war. Aber es genügt nicht. Man muss auch auf das Umfeld schauen. Und man muss genauer analysieren, wie diese Menschen im NS-System agierten, wie sie sich zum Rassenstaat verhielten und welche Rolle sie über die Jahre bei der Durchsetzung der Eroberungs- und Verfolgungspolitik spielten. Dies gilt besonders für die Kriegsjahre, als die NS-Macht und damit auch das Reichsbankpersonal in weiten Teilen Europas und der Sowjetunion Teil des Herrschaftsapparates wurde.

Ritschl: In diesem breiten personenbezogenen Ansatz liegt ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal unseres Projekts gegenüber früheren Studien zur deutschen Geldpolitik. Die Deutsche Bundesbank hat in zwei seinerzeit prominenten Veröffentlichungen 1976 und 1998 die geldpolitischen Strukturen auf der Höhe des jeweiligen Forschungsstandes untersuchen lassen. Diese Arbeiten sind heute noch wertvoll, decken aber nur einen Teil unseres Untersuchungsfeldes ab. Unsere Ausgangsfrage war das Denken und Handeln zweier Personengruppen: einerseits der Führungspersönlichkeiten selbst, andererseits der zweiten und dritten Ebene. Darüber hinaus haben wir Wert darauf gelegt, zeitlich deutlich auszugreifen über die zwölf Jahre des „Dritten Reichs“ hinaus. In mehreren Teilprojekten, die als vertiefte Einzelstudien angelegt sind (siehe Broschüre „Von der Reichsbank zur Bundesbank“ in der rechten Spalte), haben wir historische Längsschnitte gelegt, zurück in die Weimarer Zeit bis zur Währungsstabilisierung von 1923 und vor bis in das Jahr 1969. Eine Reihe von Querschnittsstudien setzt sich mit der Reichsbank insbesondere im deutsch besetzten Europa während des Zweiten Weltkriegs auseinander.

Was würden Sie als die zentralen Ergebnisse Ihrer Forschungsarbeit betrachten?

Brechtken: Die vielleicht wichtigste und dabei gar nicht so überraschende Erkenntnis ist, dass die Institution Reichsbank sich mit ihren Funktionseliten nicht grundsätzlich von vergleichbaren Institutionen, etwa Ministerien, unterschied, wenn es um die Unterstützung und Stabilisierung der NS-Herrschaft ging. Für Hjalmar Schacht war das seit langem bekannt, obwohl er selbst versucht hatte, seine Verantwortung zu kaschieren oder wegzuerzählen. Die viel breitere Analyse in unseren Projekten zeigt nun, dass ein Großteil der Reichsbankmitarbeiter genauso willfährig und zum Teil ehrgeizig bei der Etablierung des NS-Staates und später bei der Eroberungs- und Ausbeutungspolitik mitgewirkt hat wie auch Ministerialbeamte, Staatsanwälte, Mediziner, Diplomaten, Juristen und all die anderen Funktionsträger.

Wie waren Reichsbankbeschäftigte in die Verbrechen der NS-Diktatur konkret eingebunden?

Ritschl: Reichsbankbeamte waren im Zweiten Weltkrieg im besetzten Europa systematisch mit der Erfassung und Ausbeutung von Vermögen, mit der Umlenkung von Ressourcen und mit der Manipulation der Währungen zu deutschen Gunsten befasst. Die Länderstudie zu Polen zeigt auf, wie Reichsbankbeamte im Holocaust unmittelbar den Todesschwadronen folgten und Wertgegenstände, Edelmetall und Bargeld beschlagnahmten. In Griechenland administrierte die Reichsbank trotz interner Warnungen eine Hyperinflation unter Bedingungen, die der deutschen Hyperinflation von 1923 strukturell ähnlich waren. Wie seinerzeit intervenierte sie durch Goldverkäufe, um kurzfristig den Wechselkurs zu stützen und damit die Kaufkraft der Regierungsstellen künstlich zu stärken. Ein Teil des Goldes war der jüdischen Stadtbevölkerung von Thessaloniki vor der Deportation in die Vernichtungslager abgepresst worden. Zuvor hatten Reichsbankbeamte in Griechenland bei einem Stabilisierungsversuch durch Preisfreigabe und eine Bewirtschaftungsreform mitgewirkt, der Ähnlichkeiten mit den deutschen Stabilisierungen von 1923 und 1948 aufweist. Das zeigt unter anderem, dass die Reichsbankpolitik in der deutschen Inflation weniger das Ergebnis falscher geldpolitischer Auffassungen war als vielmehr ein bewusst eingesetztes Mittel zur Unterstützung der allgemeinen Politik.

Wie wurden Sie und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Ihrer Studie von der Bundesbank unterstützt?

Brechtken: Die Bundesbank hat das Projekt in allen erforderlichen Bereichen – von der Finanzierung bis zum Zugang zu den Quellen im Haus – so unterstützt, dass alle Forschenden ihrer Arbeit in der notwendigen wissenschaftlichen Unabhängigkeit nachgehen konnten. Das ist eine Grundbedingung in jedem derartigen Projekt, und die Bundesbank hat sich hier in jeder Hinsicht so verhalten, wie man es aus Sicht der Wissenschaft erwartet. Die Materialien im Bundesbankarchiv waren uns ohne Hindernisse zugänglich, sie bilden allerdings nur einen Teil der Quellenbasis. Die Vielfalt der Dokumente von den Zentralbanken anderer Länder über Materialien zur Besatzungsherrschaft bis zu Spruchkammerakten und Regierungsdokumenten der Bundesrepublik finden sich an vielen Orten und mussten entsprechend recherchiert werden. Das hat alles gut funktioniert, und wir hatten jederzeit die notwendige Unterstützung. Die jetzt vorliegende Broschüre „Von der Reichsbank zur Bundesbank“ bietet eine gute Zusammenfassung der Ergebnisse für ein interessiertes Publikum. Was ist darüber hinaus noch geplant?

Ritschl: Nach der Broschüre folgt ein Sammelband mit etwas längeren Texten und dem dazugehörigen wissenschaftlichen Apparat für alle, die sich einen raschen, aber konzisen Forschungsüberblick verschaffen möchten. Und dann folgen schließlich die Ergebnisse der Einzelstudien, die als eigenständige Bücher veröffentlicht werden. Da liegen uns die meisten Manuskripte vor, und wir werden sie im Laufe des Jahres für die Publikation vorbereiten und dann veröffentlichen.

Prof. Dr. Magnus Brechtken ist stellvertretender Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München und Berlin.

Prof. Dr. Albrecht Ritschl lehrt an der Wirtschaftshistorischen Fakultät der London School of Economics and Political Science.

Quelle: Deutsche Bundesbank

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