Unter den Folgen des Brexit-Votums werden neben der Finanzdienstleistungsbranche vor allem die Automobilindustrie sowie die Bauwirtschaft leiden. Das geht aus einer aktuellen Analyse von Feri Investment Research hervor, bei der die Auswirkungen der Berxit-Entscheidung auf die einzelnen Branchen untersucht wurden.
„Großbritannien muss in den kommenden Quartalen mit einer rückläufigen Wirtschaftsleistung rechnen – vor allem aufgrund einbrechender Investitionen. Das Land steht kurz vor der Rezession“, bringt Axel D. Angermann, Chef-Volkswirt von Feri, die Studienergebnisse auf den Punkt. Unter den rückläufigen Investitionen leiden laut Feri die Bauwirtschaft und das Immobilienwesen sowie die Hersteller von Investitionsgütern, unter den Folgen für den Konsum auch der Einzelhandel, die personenbezogenen Dienstleistungen, die Konsumgüterindustrie sowie Transport und Logistik.
Wertschöpfung der Industrie sinkt 2017 um zwei Prozent
In der Industrie, deren Wertschöpfung im kommenden Jahr um knapp zwei Prozent zurückgehen wird, sind besonders diejenigen Branchen betroffen, die eine enge Handelsverflechtung mit der EU haben. Dies trifft beispielsweise auf die Automobilindustrie zu, die mehr als die Hälfte ihrer Erzeugnisse exportiert und davon wiederum mehr als die Hälfte in die EU. Hersteller wie Toyota und BMW beispielsweise haben Werke in Großbritannien, in denen Fahrzeuge für den europäischen Markt produziert werden. Die Verflechtungen mit der Produktion in der EU sind auch durch den Import von Vorprodukten sehr hoch, die sich durch die Abwertung des Pfund deutlich verteuern. Das hohe Wachstum der vergangenen Jahre (zuletzt +6,6 Prozent Produktionszuwachs im Jahr 2015) wird sich deshalb nicht fortsetzen. Feri rechnet mit einem Rückgang der Automobilproduktion im kommenden Jahr um 1,5 Prozent.
Noch deutlicher ist die Ausrichtung der Exporte auf die EU in der Chemie und bei Gummi- und Kunststoffwaren. Auch die pharmazeutische Industrie ist stark mit dem europäischen Kontinent verflochten, auch wenn die Wertschöpfung in diesem Sektor auch im Jahr 2017 weiter leicht zulegen dürfte. Dafür sind in diesem Sektor die langfristigen Auswirkungen von größerer Relevanz: Durch den Brexit hat Großbritannien perspektivisch keine Möglichkeit mehr, Einfluss auf die regulatorischen Rahmenbedingungen zu nehmen.
Unter den bereits jetzt spürbaren negativen Auswirkungen des Brexit auf den Immobilienmarkt leiden auch das Immobilienwesen und die Bauwirtschaft. In beiden Bereichen wird die Wertschöpfung im kommenden Jahr stärker rückläufig sein als in der Gesamtwirtschaft. Im Fokus der Märkte steht derzeit auch die Luftfahrt: Das schwache Pfund, der Rückgang der Geschäftsreisen und die schwächere Einkommensentwicklung führen hier zu einem Umsatzrückgang um knapp fünf Prozent – nach einem immer noch sehr hohen Wachstum um 8,5 Prozent im laufenden Jahr. Langfristig dürfte vor allem die Regelung der Landerechte in der EU von Bedeutung sein, weil gerade das Geschäft der innereuropäischen Billigfluglinien nach einem Austritt mit höheren Kosten verbunden wäre.
Kaum Gewinnerbranchen
„Gewinner unter den Branchen gibt es vor dem Hintergrund einer gesamtwirtschaftlichen Rezession kaum“, sagt Angermann. Sollten in größerem Maße als bisher finanzielle Mittel in den Gesundheitssektor fließen, könnte dieser vom EU-Austritt profitieren. „Eine quantitative Abschätzung scheint aber angesichts der negativen Folgen des Brexit für den Staatshaushalt und der Unsicherheit, inwieweit dieses Versprechen politisch Bestand hat, derzeit kaum möglich.“
Die Abwertung des Pfund erhöht allerdings die Attraktivität Großbritanniens als Reiseziel, wovon das Hotel- und Gastgewerbe profitieren sollte. Die Verteuerung von Fernreisen für die Briten selbst könnte den Inlandstourismus positiv beeinflussen, auch wenn dem eine generell sinkende Nachfrage infolge der steigenden Arbeitslosigkeit und einer schwächeren Einkommensentwicklung gegenüberstehen. Das Hotel- und Gaststättengewerbe gehört jedenfalls zu den wenigen Sektoren, die auch im Jahr 2017 mit einem Umsatzzuwachs rechnen können.
Finanzdienstleistungen als größter Brexit-Verlierer
Der Finanzdienstleistungssektor erscheint auch in der Feri-Studie als größter Verlierer. Bereits im Jahr 2017 wird dieser Sektor mit minus fünf Prozent den stärksten Rückgang der Wertschöpfung unter allen Sektoren aufweisen. Maßgeblich hierfür dürfte sein, dass die Abwanderung von Finanzdienstleistungen und der dazu benötigten Mitarbeiter unabhängig vom Stand der Austrittsverhandlungen bereits frühzeitig in Gang kommen dürfte.
Langfristig zeigen die Berechnungen von Feri, dass der Anteil der Finanzdienstleistungen an der Gesamtwirtschaft spürbar sinken und von aktuell 7,7 Prozent bis zum Jahr 2030 auf sechs Prozent zurückfallen könnte. Damit wäre ein Niveau erreicht, das es zuletzt Mitte der 80er Jahre gab. Weil die Perspektiven für die Banken und Versicherungen wesentlich von den vertraglichen Vereinbarungen mit der EU sowie von eventuellen Gegenmaßnahmen der britischen Regierung zur Förderung dieses Sektors abhängen, ist diese Prognose naturgemäß mit hohen Unsicherheiten behaftet.