Die Europäische Kommission hat die Deutsche Lufthansa AG („Lufthansa“) und das italienische Ministerium für Wirtschaft und Finanzen („MEF“) von ihrer vorläufigen Auffassung in Kenntnis gesetzt, dass der geplante Erwerb der gemeinsamen Kontrolle über ITA Airways („ITA“) den Wettbewerb auf bestimmten Strecken auf dem Markt für Passagierluftverkehrsdienste innerhalb und außerhalb Italiens einschränken könnte. Die Kommission befürchtet, dass die Kunden nach dem Zusammenschluss mit höheren Preisen oder einer geringeren Dienstleistungsqualität konfrontiert sein könnten. Die Lufthansa und ITA betreiben ein weitreichendes Streckennetz von ihren jeweiligen Drehkreuzen in Belgien, Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien aus. Die Lufthansa arbeitet im Rahmen von Gemeinschaftsunternehmen mit United Airlines und Air Canada für transatlantische Strecken sowie mit All Nippon Airways für Strecken nach Japan zusammen. Die Joint-Venture-Partner stimmen sich in Bezug auf Preise, Kapazitäten und Flugpläne ab und teilen Einnahmen untereinander auf.
Am 23. Januar 2024 leitete die Kommission eine eingehende Untersuchung ein, um zu prüfen, ob der von der Lufthansa geplante Erwerb einer Beteiligung an ITA den Wettbewerb bei der Erbringung von Passagierluftverkehrsdiensten innerhalb und außerhalb Italiens einschränken könnte. Im Rahmen ihrer umfassenden Untersuchung der möglichen Auswirkungen des Zusammenschlusses analysierte die Kommission unter anderem interne Dokumente und ausführliche Informationen, die von den beteiligten Unternehmen vorgelegt wurden, und holte Auskünfte und Ansichten von konkurrierenden Fluggesellschaften, Flughäfen, Slot-Koordinatoren und Kunden ein.
Die Kommission berücksichtigte auch proaktive Stellungnahmen von einzelnen Verbrauchern, von Verbraucherverbänden, Flughäfen, konkurrierenden Fluggesellschaften und Gewerkschaften, in denen diese sich für oder gegen den Zusammenschluss aussprachen.
Diese eingehende Prüfung der Kommission ergab, dass das Vorhaben folgende Auswirkungen haben könnte:
*Verringerung des Wettbewerbs auf bestimmten Kurzstrecken zwischen Italien und mitteleuropäischen Ländern. Auf diesen Strecken stehen die Lufthansa und ITA – hauptsächlich bei Direktflügen, aber auch bei indirekten Flügen – in unmittelbarem Wettbewerb zueinander oder werden dies in Zukunft tun. Der Wettbewerb auf diesen Strecken scheint nur begrenzt zu sein und in erster Linie von Billigfluggesellschaften wie Ryanair auszugehen, die oftmals von abgelegeneren Flughäfen aus tätig sind.
*Verringerung des Wettbewerbs auf bestimmten Langstrecken zwischen Italien und den USA, Kanada und Japan. Auf diesen Strecken stehen ITA auf der einen Seite und die Lufthansa und ihre Joint-Venture-Partner auf der anderen Seite bei direkten oder indirekten Flügen im unmittelbaren Wettbewerb zueinander. Der von anderen Fluggesellschaften ausgehende Wettbewerbsdruck scheint auf diesen Strecken vernachlässigbar zu sein. Im Rahmen ihrer Prüfung behandelt die Kommission die Tätigkeiten von ITA, der Lufthansa und ihrer Joint-Venture-Partner als Tätigkeiten eines einzigen Unternehmens nach dem Zusammenschluss.
*Schaffung oder Stärkung der beherrschenden Stellung von ITA am Flughafen Mailand-Linate, sodass es für Wettbewerber schwieriger werden könnte, auf den Strecken von und nach Mailand-Linate Personenluftverkehrsdienste anzubieten.
Jedes Jahr reisen Millionen Passagiere auf diesen Strecken für einen jährlichen Gesamtbetrag von mehr als 3 Mrd. EUR. Ziel der Kommission ist es, dafür zu sorgen, dass sich der Zusammenschluss nicht nachteilig auf die Kunden – weder für die Verbraucher noch für die Unternehmen – in Form höherer Preise oder geringerer Dienstleistungsqualität auswirkt. ITA hat seine Tätigkeit mit Erfolg aufgenommen. Die Kommission befürchtet, dass der Wegfall von ITA als unabhängige Fluggesellschaft negative Auswirkungen auf den Wettbewerb auf diesen ohnehin bereits konzentrierten Märkten haben könnte, wenn keine geeigneten Abhilfemaßnahmen getroffen werden. Die Strecken, bei denen Anlass zu potenziellen Wettbewerbsbedenken besteht, machen nur einen kleinen Teil der von beiden Fluggesellschaften und ihren Joint-Venture-Partnern bedienten Kurz- und Langstrecken aus und betreffen nur einen kleinen Teil ihrer Passagiere; die überwiegende Mehrheit der von ITA bedienten Strecken ist nicht von den potenziellen Wettbewerbsbedenken betroffen.
Mit der Mitteilung der Beschwerdepunkte setzt die Kommission die Beteiligten auf schriftlichem Wege förmlich von ihren kartellrechtlichen Bedenken in Kenntnis. Die Mitteilung der Beschwerdepunkte greift dem Ergebnis der Untersuchung nicht vor. Die Lufthansa und MEF haben nun Gelegenheit, zur Mitteilung der Beschwerdepunkte der Kommission Stellung zu nehmen, die Akte der Kommission einzusehen und eine mündliche Anhörung zu beantragen.
Die Lufthansa und MEF haben auch die Möglichkeit, Abhilfemaßnahmen vorzuschlagen, um die vorläufigen wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission auszuräumen. Sie können jederzeit im Laufe des Verfahrens bis zum Ablauf der Frist, die derzeit auf den 26. April 2024 festgesetzt ist, Abhilfemaßnahmen unterbreiten.
Unternehmen und Produkte
ITA ist eine italienische Fluggesellschaft mit umfassendem Dienstleistungsangebot („Full-Service Carrier“), die In- und Auslandsflüge zur Beförderung von Fluggästen und von Luftfracht anbietet. Ihre Drehkreuze befinden sich an den Flughäfen Rom und Mailand. ITA wurde im Oktober 2020 vom italienischen Staat gegründet und verzeichnete ein erfolgreiches Jahr 2023. ITA ist Mitglied der SkyTeam-Allianz.
Der weltweit aufgestellte Full-Service Carrier Lufthansa mit Sitz in Deutschland bietet In- und Auslandsflüge zur Beförderung von Fluggästen und von Luftfracht an. Die wichtigsten Drehkreuze der Lufthansa befinden sich an den Flughäfen Frankfurt, München, Zürich, Wien und Brüssel. Zu ihren Tochtergesellschaften zählen Austrian Airlines, Brussels Airlines, Eurowings, Swiss International Airlines und Air Dolomiti. Die Lufthansa ist Mitglied der Star Alliance, eines transatlantischen Gemeinschaftsunternehmens mit United Airlines und Air Canada, und eines Gemeinschaftsunternehmens mit All Nippon Airways für den Verkehr zwischen Europa und Japan.
Das MEF nimmt die Aufgaben und Zuständigkeiten der italienischen Regierung in den Bereichen Wirtschafts-, Finanz-, Haushalts- und Steuerpolitik wahr. Es hält Beteiligungen an öffentlichen und strategisch wichtigen Unternehmen in Italien, auch im Verkehrssektor, und ist derzeit alleiniger Anteilseigner von ITA. Die Unternehmen, an denen das MEF Beteiligungen hält, sind weltweit tätig.
Hintergrund
Der Zusammenschluss wurde am 30. November 2023 bei der Kommission zur Genehmigung angemeldet. Am 8. Januar 2024 legte die Lufthansa Verpflichtungsangebote vor, um einige vorläufige Bedenken der Kommission auszuräumen. Diese Angebote waren jedoch weder umfassend genug noch hinreichend wirksam, um die vorläufigen Bedenken der Kommission vollständig auszuräumen. Daher holte die Kommission keine Stellungnahmen von Marktteilnehmern dazu ein.
Am 23. Januar 2024 leitete die Kommission eine eingehende Prüfung ein und muss nun bis zum 6. Juni 2024 einen abschließenden Beschluss erlassen. Die Kommission hat die Aufgabe, Fusionen und Übernahmen von Unternehmen zu prüfen, deren Umsatz bestimmte Schwellenwerte übersteigt (vgl. Artikel 1 der Fusionskontrollverordnung), und Zusammenschlüsse zu untersagen, die den wirksamen Wettbewerb im gesamten oder in einem wesentlichen Teil des Europäischen Wirtschaftsraums erheblich behindern würden.
Der weitaus größte Teil der angemeldeten Zusammenschlüsse ist wettbewerbsrechtlich unbedenklich und wird nach einer Standardprüfung genehmigt. Nach der Anmeldung eines Vorhabens muss die Kommission in der Regel innerhalb von 25 Arbeitstagen entscheiden, ob sie das Vorhaben im Vorprüfverfahren (Phase I) genehmigt oder ein eingehendes Prüfverfahren (Phase II) einleitet. Neben dem Prüfverfahren zu diesem Zusammenschluss läuft derzeit ein weiteres eingehendes Prüfverfahren, das die geplante Übernahme von Air Europa durch IAG zum Gegenstand hat.