Immobilieninvestoren suchen die richtige Balance zwischen Vorsicht und Risikobereitschaft

23 August 2016

Die Spielräume für Immobilieninvestments in Europa verengen sich. Das Risiko einer Fehlallokation von Kapital nimmt im gleichen Maße zu wie frisches Geld ungebremst hineinströmt. Investieren wird damit zu einem Balanceakt, bei dem die Kapitalseite zu einem bestimmenden Faktor geworden ist.


Durch aktiveres Liquiditätsmanagement und das ständige Austarieren zwischen Renditeverzicht und mehr Risikobereitschaft versuchen Immobilieninvestoren in Europa das Dilemma hoher verfügbarer Liquidität zu lösen. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle, im halbjährlichen Turnus durchgeführte Immobilien-Investitionsklimastudie von Union Investment, für die diesmal 161 professionelle Immobilienanleger in Deutschland, Frankreich und Großbritannien repräsentativ befragt wurden.

Investments mit lukrativer Verzinsung bleiben in Europa rar gesät. Das Spiegelbild: 52 Prozent der befragten europäischen Immobilieninvestoren erwarten, dass sie in den kommenden drei Jahren ihre selbstgesteckten Renditeziele nicht erreichen werden – sie also mit anhaltend hohen Preisen und entsprechend niedrigen Renditen rechnen müssen. Und selbst auf Fünfjahressicht befürchtet jeder zweite Befragte, die erhoffte Verzinsung seiner Investments zu verfehlen. „Der große Anlagedruck auf den Immobilienmärkten befördert das Risiko der Fehlallokation von Kapital“, sagt Olaf Janßen, Leiter Immobilienresearch bei Union Investment. „Strategien werden also darauf auszurichten sein, die richtige Balance zu finden zwischen der in der Nullzinswelt erforderlichen Risikobereitschaft einerseits und der angesichts der Vielzahl bestehender Risiken gebotenen Vorsicht andererseits.“

Vorsichtige Risikobereitschaft

Die Folgestudie von Union Investment belegt, dass Europas Immobilieninvestoren derzeit auf der Risikoseite nachjustieren. „Das Pendel schlägt bei vielen Investorengruppen Richtung vorsichtige Risikobereitschaft aus“, so Janßen. So nennen 60 Prozent der Investoren „Rendite“ in der aktuellen Umfrage als wichtigstes Anlagemotiv, weit vor den Aspekten „Sicherheit“ (29 Prozent) und „Liquidität“ (neun Prozent). Dies bedeutet eine nochmalige und signifikante Steigerung im Vergleich zur letzten Befragung im Januar 2016. Zu diesem Zeitpunkt gaben noch 55 Prozent an, Immobilieninvestments primär nach Renditegesichtspunkten zu beurteilen. Vor einem Jahr lag die Quote sogar nur bei 52 Prozent.

Die zunehmende Renditeorientierung ist ein durchgehendes Merkmal in allen drei Befragungsregionen, wobei weiterhin Abstufungen vorhanden sind. In Deutschland halten sich Rendite- und Sicherheitsorientierung mit jeweils rund 40 Prozent weiterhin die Waage, in UK ist die Ausrichtung auf Rendite am stärksten. 84 Prozent der britischen Investoren blicken bei ihre Anlageentscheidung vorrangig auf den Aspekt Rendite. In Frankreich ist für jetzt 56 Prozent der Befragten Rendite der Dreh- und Angelpunkt bei Anlageentscheidungen. Mit einem Plus von acht Prozentpunkten fällt der Schwenk Richtung Renditeorientierung in Frankreich besonders stark aus.

Höhere Risikoaffinität bei Anlagestrategien nur in Frankreich

Doch trotz gestiegener Renditeorientierung: Folgt man den Einschätzungen der interviewten Investmententscheider, bleiben die Anlagestrategien der europäischen Immobilieninvestoren im Kern noch defensiv. Ein zentrales Ergebnis der Union Investment-Studie: Nur etwa jedes dritte befragte Unternehmen (35 Prozent) setzt explizit auf gleiche Renditen bei höherem Risiko.

Vergleichsweise hoch ist die Risikoaffinität nur in den Anlagestrategien der französischen Investoren. Innerhalb dieser Befragtengruppe bildet „Gleiche Rendite – höheres Risiko“ für 46 Prozent der Befragten den strategischen Rahmen; in UK und Deutschland sagen demgegenüber lediglich 32 beziehungsweise 28 Prozent, dass sie explizit höhere Risiken eingehen wollen, um zum Beispiel die Belastung aus sinkenden Ankaufsrenditen zu kompensieren.

Die Mehrheit der insgesamt befragten Investoren (56 Prozent) ist nicht bereit höhere Risiken einzugehen und nimmt dafür bei den selbst gesetzten oder vom Kunden vorgegebenen Renditezielen Abstriche in Kauf. Die Anlagestrategie „Gleiches Risiko – geringere Rendite“ verfolgen in Deutschland 56 Prozent, in Frankreich 52 Prozent und in Großbritannien 60 Prozent der Investoren. „Trotz der deutlich gestiegenen Renditeorientierung sind den Ankündigungen noch wenig Taten gefolgt. Eine Bewegung hin zu risikoreicheren Investments lässt in der Breite weiter auf sich warten“, sagt Immobilienexperte Janßen.

Liquiditätsbezogene Risiken steigen

Die aktuelle Umfrage bestätigt darüber hinaus den gewachsenen Stellenwert, den liquiditätsbezogene Risiken heute bei Europas Immobilieninvestoren einnehmen. In jedem vierten der befragten Unternehmen haben Liquiditätsrisiken in der Risikobetrachtung in den vergangenen drei Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen. Dieser Umfragewert wurde nahezu identisch in allen drei Befragungsregionen ermittelt. Hierzu passt die Aussage von 42 Prozent der Befragten, dass dem Liquiditätsmanagement heute eine höhere Aufmerksamkeit gewidmet wird als dies noch vor drei Jahren der Fall war.

Ein höherer Professionalisierungsgrad lässt sich daraus insbesondere für Frankreich ableiten, wo mehr als jeder zweite Befragte die in den letzten 36 Monaten gestiegene Bedeutung des Liquiditätsmanagements bestätigt. „Beide Indikatoren weisen darauf hin, dass Liquiditätsmanagement Eingang in das Risikomanagement der Immobilieninvestoren gefunden hat und dort zunehmend in den Prozessen verankert wird“, sagt Janßen.

Unsicherheiten belasten Klima

Ambivalent wie in der Frage, wie viel Risiko einzugehen ist, um angemessene Renditen zu erwirtschaften, zeigt sich auch die Entwicklung des Klimas für Immobilieninvestments in den drei größten europäischen Volkswirtschaften. Während sich der in Frankreich erhobene Klimaindex nach einer längeren Abschwungphase zu stabilisieren scheint, weist die in Deutschland und Großbritannien gemessene Investorenstimmung mit Verlusten von 2,4 beziehungsweise vier Punkten unerwartet starke Dämpfer auf.

Die Befragung wurde Ende Juni abgeschlossen und damit vor dem Referendum in Großbritannien über die weitere Zugehörigkeit zur Europäischen Union durchgeführt. Die Stimmung unter den britischen Investoren erreicht – abzulesen am nationalen Index mit aktuell 64,3 Punkten – damit bereits vor der „Brexit“-Entscheidung – den tiefsten Stand seit 2012. Erstmals seit 2010 fällt der Klimaindex in UK sogar hinter die Indizes in Deutschland (67,5) und Frankreich (67) zurück.

„Insgesamt verliert das Zutrauen der Investoren in ihre jeweiligen Immobilienmärkte an Kraft“, sagt Janßen. „Die Stimmung wird durch vielfältige Unsicherheiten belastet, die in zunehmenden Maße von der Kapitalmarkseite geprägt sind. Die nächsten sechs Monate werden zeigen, ob Sondereffekte den deutschen Klimaindex beeinflussen und dieser weiter auf das niedrige Niveau in Frankreich und UK einschwenkt.“

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