Christian Bock : „Beschwerden sind für uns ein wichtiger Indikator“

30 April 2024
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Ob über Banken, Versicherer oder Wertpapierdienstleistungsunternehmen: Verbraucherinnen und Verbraucher haben sich 2023 deutlich häufiger bei der BaFin beschwert als noch 2022. Christian Bock, der Leiter der BaFin-Verbraucherschutzabteilung, erklärt, woran das liegt. Herr Bock, die deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher sind deutlich beschwerdefreudiger geworden: 2023 gab es rund 62 Prozent mehr Beschwerden bei der BaFin als im Jahr davor. Beim Verbrauchertelefon stieg die Zahl der Anrufe um mehr als 25 Prozent. Wie kommt das?

Ich sehe dafür vor allem zwei Gründe: Inzwischen kennen uns viel mehr Verbraucherinnen und Verbraucher. Das liegt unter anderem daran, dass wir über unsere Maßnahmen transparent berichten. Ich denke da zum Beispiel an die Themen Depotüberträge und Jahressteuerbescheinigungen, zu denen wir uns öffentlich geäußert haben. Die sind speziell für Verbraucherinnen und Verbraucher wichtig. Wir haben aber auch einige hohe Bußgelder verhängt und die Bestellung von Sonderbeauftragten bekanntgemacht. Auch unsere Auftritte bei LinkedIn, Instagram oder X tragen dazu bei, dass wir heute sichtbarer sind. Mehr Verbraucherinnen und Verbraucher denken also: Wenn ich mich über meine Bank, den Versicherer oder mein Wertpapierdienstleistungsunternehmen beschweren will, kann ich das bei der BaFin tun. Unser neues Beschwerde-Formular auf der Website macht es zudem deutlich einfacher, uns zu kontaktieren. Damit bauen wir Kommunikationshürden ab. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wir hatten einen Sondereffekt.

Sie meinen die Störungen im Privatkundenservice bei einer Bank?

Genau. Ein wesentlicher Teil der Beschwerden über Störungen im Privatkundenservice bei Banken ging auf ein Finanzinstitut zurück.

Gibt es auch interessante Entwicklungen bei anderen Banken?

Ja, natürlich. Überdurchschnittlich oft ging es bei Verbraucherbeschwerden um Kontokündigungen oder -sperrungen. Auch verspätet ausgestellte Jahressteuerbescheinigungen waren häufig ein Thema. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu unzulässigen Gebühren bei Bausparverträgen beschäftigte ebenfalls viele Verbraucherinnen und Verbraucher.

Bei den Beschwerden über Versicherer geht es meist darum, dass Verbraucherinnen und Verbraucher sie zu langsam finden. Darüber haben sie sich 2022 am häufigsten beschwert. Wie sah es 2023 aus?

Ganz ähnlich: Bei den meisten Beschwerden über Versicherer ging es auch im vergangenen Jahr darum, dass Verbraucherinnen und Verbraucher sie zu langsam fanden. Häufig betraf dies die Schadenbearbeitung und Auszahlungen. Grund waren meistens Personalmangel, IT-Probleme oder gehäufte Schadenereignisse. Schaden- und Unfallversicherer waren zudem auffällig oft schlecht telefonisch erreichbar. Das hat bei vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern für Unmut gesorgt.

Was ist mit den übrigen Sparten?

Bei den Lebensversicherern störten sich die Versicherten vor allem an der Höhe der Versicherungsleistung. Viele haben beanstandet, dass sie zu gering oder gar nicht an den Bewertungsreserven beteiligt worden seien. Beitragsanpassungen, Probleme beim Tarifwechsel und nicht erstattete Arztrechnungen waren die häufigsten Gründe bei Beschwerden über Krankenversicherer. Bei den Beschwerden über Kfz- und Wohngebäudeversicherer ging es meistens um Prämienerhöhungen.

Bei den Wertpapierdienstleistern gab es vor allem Kritik am Kundenservice.

Richtig, Probleme wie unzureichende Antwortschreiben, lange Reaktionszeiten und schlechte Erreichbarkeit sind auffällig oft an uns herangetragen worden. Was die Beschwerdegründe selbst angeht, waren Wertpapier- bzw. Depotüberträge auch 2023 wieder das häufigste Motiv. Bei mehr als einem Drittel der Beschwerden ging es um dieses Thema – und insbesondere um zu langsam übertragene Depotbestände. Nach unseren Erkenntnissen waren dafür oft personelle oder IT-Probleme verantwortlich.

Warum gibt es dazu derart viele Beschwerden?

Anlegerinnen und Anleger werden zunehmend mobiler und kostenbewusster. Die langjährige Treue zu einem einzelnen Anbieter, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen, sinkt immer weiter. Viele suchen vor allem einen kostengünstigen Anbieter. Es gibt mehr Wechsel – und damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Problemen kommt.

Wenn sich Menschen bei der BaFin über Wertpapierdienstleistungsunternehmen beschwert haben, ging es früher häufig um Anlageberatung. Seit einigen Jahren sinkt der Anteil dieser Beschwerden deutlich. Ist die Beratung besser geworden?

Vor allem hat die Anlageberatung kontinuierlich an Bedeutung verloren. Der Anteil der Beschwerden dazu lag bis 2018 noch bei deutlich über zehn Prozent. Mittlerweile hat er sich bei etwa drei Prozent eingependelt. Auch die Zahl der Anlageberaterinnen und -berater hat deutlich abgenommen. Wir schließen daraus, dass Anlegerinnen und Anleger sich immer weniger in der Filiale beraten lassen. Immer mehr gefragt sind beratungsfreie Angebote, beispielsweise von Neobrokern. Darauf reagieren wir, indem wir unseren Aufsichtsfokus verändern. Wir beobachten deshalb verstärkt die neuen Angebote im Wertpapierhandel. Dort stellen sich andere spannende Fragen, zum Beispiel zur bereits erwähnten Kundenmobilität.

Was macht die BaFin mit den vielen Beschwerden von Verbraucherinnen und Verbrauchern?

Die einzelnen Beschwerden helfen uns, einen guten Überblick über die Probleme von Kundinnen und Kunden der Finanzbranche zu erhalten. Aber auch über veränderte Verhaltensweisen: Die größere Kundenmobilität beispielsweise können wir sehr schön aus den Beschwerden ablesen – und entsprechend reagieren. Wenn wir Anhaltspunkte dafür haben, dass gegen verbraucherschützende Vorschriften verstoßen wird und eine Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern betroffen ist, prüfen wir, ob und welche Maßnahmen wir ergreifen können. Neben unseren eigenen Erkenntnissen aus der Aufsichtsarbeit sind Beschwerden dafür ein wichtiger Indikator.

Die BaFin betreibt kollektiven Verbraucherschutz. Was bedeutet das?

Kollektiv bedeutet, dass die BaFin die Gesamtheit aller Verbraucherinnen und Verbraucher am Finanzmarkt schützt. Einzelne Streitfälle dürfen und können wir nicht verbindlich entscheiden. Hier sind ordentliche Gerichte die richtigen Ansprechpartner, auch an Ombudsleute und Schlichtungsstellen kann man sich wenden.

An wen können sich Verbraucherinnen und Verbraucher sonst noch wenden?

Wir empfehlen Verbraucherinnen und Verbrauchern, sich immer zuerst an ihre Bank, ihren Versicherer oder ihren Wertpapieranbieter zu wenden, wenn es Probleme gibt. Und zwar schriftlich und mit der Bitte um eine Stellungnahme. Lässt sich das Problem so nicht lösen, stehen wir gerne als Ansprechpartner zur Verfügung.

Quelle : BaFinJournal

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