Zentralbanken sind entschlossen, die Inflation zu besiegen, auch wenn die letzten Schritte zur Preisstabilität möglicherweise die schwierigsten sein werden. Es besteht ein substanzielles Risiko weiterer finanzieller Spannungen, da sich das Finanzsystem an das Ende der länger anhaltenden niedrigen Zinsperiode anpasst. Um Stabilität und Vertrauen aufrecht zu erhalten, muss die Geld- und Finanzpolitik innerhalb einer „Stabilitätszone“ agieren. Die Inflation hat nahezu überall begonnen, sich von ihren seit Jahrzehnten nicht gesehenen Höchstwerten wieder zu verabschieden, doch die Arbeit der Zentralbanken ist noch lange nicht erledigt. Dies ist die Aussage der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in ihrer zentralen Publikation, dem Jahreswirtschaftsbericht. Auch wenn das besonders einschneidende Anziehen der geldpolitischen Zügel in jüngster Zeit noch bestens in Erinnerung ist, wird die letzte Etappe, die erforderlich sein wird, um Preisstabilität wiederherzustellen, die härteste sein.
Laut dem Jahreswirtschaftsbericht der BIZ 2023 sind die Gewinne, die bisher bei der Inflationsbekämpfung verzeichnet werden konnten, zu einem großen Teil auf Entspannungen bei den Lieferketten und fallende Rohstoffpreise zurückzuführen. Doch an den Arbeitsmärkten ist die Situation nach wie vor angespannt, und Preissteigerungen im Dienstleistungssektor erweisen sich als schwerer zu bändigen. Das Risiko ist gross, dass sich eine Inflationspsychologie festsetzen wird, in der Lohn- und Preissteigerungen beginnen, sich gegenseitig zu verstärken. Die Zinssätze müssen möglicherweise noch länger, als von Öffentlichkeit und Anlegern erwartet, auf einem höheren Niveau verharren.
Der Bericht analysiert die Risiken, die sich aus der einzigartigen Kombination aus hoher Inflation und Risiken für die Finanzstabilität ergeben. Zentralbanken ziehen die geldpolitischen Zügel vor dem Hintergrund hoher Preise für Schuldtitel und Vermögenswerte an – ein Vermächtnis noch aus Zeiten, in denen angesichts langanhaltend niedriger Zinsen an den Finanzmärkten vermehrt Risiken eingegangen worden waren.
Das markanteste, wenn auch bei Weitem nicht das einzige Beispiel dafür, wie derartige Risiken durchschlagen, war der Stress im Bankensektor Anfang 2023. Versteckter Leverage und Liquiditätsmissverhältnisse im Nicht-Banken-Finanzsektor stellen ein weiteres Finanzstabilitätsrisiko dar. Wenn Zentralbanken die geldpolitischen Zügel noch stärker und länger anziehen müssen, um Preisstabilität zu erreichen, wird das Risiko von Stress im Finanzsektor weiter steigen.
Die wichtigste geldpolitische Herausforderung bleibt gegenwärtig die Eindämmung der Inflation, und die letzten Meter sind gewöhnlich die härtesten. Die Last verteilt sich auf viele Schultern, aber die Risiken, die entstehen, wenn man nicht unverzüglich reagiert, werden langfristig höher sein. Die Zentralbanken sehen es weiterhin als ihre Aufgabe, Kurs zu halten, um Preisstabilität wiederherzustellen und die Kaufkraft der Bevölkerung zu bewahren.
Agustín Carstens, Generaldirektor der BIZ : „Finanzpolitik und bankenaufsichtliche Massnahmen können ihren Teil dazu beitragen zu versuchen, die Realwirtschaft und das Finanzsystem zu stabilisieren. Die Regierungen sollten ihre Haushalte verschlanken, zugleich darauf abzielen, die, den am stärksten den Risiken ausgesetzten Gruppen zu unterstützen und sich auf einen Kurs der langfristigen Ausgabenkonsolidierung zu begeben. Zentralbanken würden weniger unter Druck stehen, über längere Zeiträume auf höheren Zinsniveaus zu verharren. Dadurch könnten sie zu einer Eindämmung der Inflation beitragen und dafür sorgen, dass die Risiken für die Finanzstabilität unter Kontrolle bleiben.“
Die Aufsichts -und Regulierungsbehörden können die volle Bandbreite der ihnen zur Stärkung des Finanzsystems zur Verfügung stehenden Werkzeuge zum Einsatz bringen und dadurch den Zentralbanken mehr Handlungsspielraum verschaffen.
In dem Bericht wird diskutiert, inwieweit hohe Inflation und Anfälligkeiten des Finanzsystems ein Signal dafür sind, dass die Geld- und Finanzpolitik die Grenzen der „Stabilitätszone“ austesten. Das ultimative Risiko, aus dieser Zone hinauszufallen, besteht darin, dass das Vertrauen verlorengeht, welches die Gesellschaft in den Staat und seine Entscheidungsfindung haben muss. Längerfristig sind geldpolitische Anpassungen und institutionelle Sicherungsmassnahmen erforderlich, um zu gewährleisten, dass die Geld- und Finanzpolitik sich klar innerhalb dieser Stabilitätszone bewegt..
Claudio Borio, Leiter der Währungs- und Wirtschaftsabteilung der BIZ : „In den gegenwärtigen Spannungen kulminiert eine seit Jahrzehnten andauernde Entwicklung, sich auf die Geld- und Finanzpolitik als De-facto-Wachstumsmotoren zu verlassen. Diesen Irrtum einer „Wachstumsillusion“ zu überwinden und ein kohärentes geldpolitisches Massnahmenbündel zu finden, erfordert ein Umdenken und ein Erkennen der Grenzen von Stabilisierungsmassnahmen.“