Dr. Fabian Leonhardt
Die BaFin nutzt ihre allgemeine Marktbeobachtung, um das Segment der Fintechs im Blick zu behalten. Derzeit befindet sich das junge Segment in einer Phase der Konsolidierung. Dazu gehört auch eine zunehmende Kooperation von Fintechs untereinander sowie von Fintechs mit Etablierten. Fintechs, also junge Unternehmen, die innovative Finanztechnologien in der Finanzbranche anwenden, verfolgen ganz unterschiedliche Geschäftsmodelle. Manche Fintechs sind im Versicherungssektor mit innovativen Lösungen im Vertrieb tätig, andere bieten Apps an, die die finanzielle Situation der Nutzer analysieren, und wieder andere stellen Banken oder Versicherern IT-Lösungen bereit.
Die allgemeine Marktbeobachtung der BaFin erfasst dabei sowohl Fintechs, deren Geschäftsmodell eine erlaubnis- oder registrierungspflichtige Dienstleistung des Finanzsektors umfasst als auch Unternehmen, die nicht der Aufsicht der BaFin unterliegen.
Definition:Fintechs und Fintech
An Veröffentlichungen und Studien, die den Begriff „Fintechs“ verwenden, besteht kein Mangel. Nach wie vor fehlt diesen Quellen aber eine allgemein anerkannte Definition oder ein gemeinsames Verständnis über die von diesem Begriff erfassten Unternehmen. Darüber hinaus beziehen sich die Quellen auf unterschiedliche Betrachtungszeiträume.
Konsens besteht darüber, dass es sich bei Fintechs um junge Unternehmen handelt, die im Finanzdienstleistungssektor innovative Finanztechnologien anwenden. Im Markt wird diese Arbeitsdefinition meist breit und im Kontext des mit der jeweiligen Veröffentlichung verfolgten Zwecks ausgelegt. Als Fintechs gelten daher zahlreiche unterschiedliche Geschäftsmodelle, die sich auf Teilbereiche des Marktes und der Wertschöpfungskette fokussieren, wie beispielsweise Insurtechs (siehe BaFinJournal Januar 2019), Crowdfunding-Plattformen sowie Payment- und Regtech-Anbieter (siehe BaFinJournal März 2019). Je nach Begriffsverständnis lag die Zahl der Fintechs in Deutschland 2018 schätzungsweise zwischen 300 und 900.
Von dem Begriffsverständnis des Marktes abzugrenzen ist die Sicht der Finanzaufsichtsbehörden auf Fintechs, die schon aus Zuständigkeitsgründen zwangsläufig an bestimmbare gesetzliche Definitionen anknüpfen muss. In Ermangelung eines entsprechenden Bedürfnisses sind aber weder die Begriffe „Fintech“ noch „Fintechs“ – die Unternehmen – rechtlich eindeutig definiert.
Zu Fintech, also innovativen Finanztechnologien als solchen, hat sich allerdings mittlerweile die Definition des Finanzstabilitätsrats (Financial Stability Boards – FSB) durchgesetzt, wonach es sich um technologiegestützte Innovationen im Finanzdienstleistungssektor handelt, die neue Geschäftsmodelle, Anwendungen, Prozesse oder Produkte hervorbringen und die Finanzmärkte und Finanzinstitute sowie die Art und Weise, wie Finanzdienstleistungen erbracht werden, erheblich beeinflussen könnten. Auch die BaFin verwendet diese Definition.
Marktbeobachtung als Teil der Digitalisierungsstrategie der BaFin
Entsprechend ihrer Digitalisierungsstrategie untersucht die BaFin auf strategischer Ebene, wie sich innovative Finanztechnologien auf Geschäftsmodelle und Prozesse im Finanzsektor auswirken und diese möglicherweise auch verändern. Die Analyse der digitalen Transformation der Finanzbranche erfolgt mit einem ganzheitlichen Blick und kann sich nicht auf Aufsichtsobjekte beschränken. Ziel ist und bleibt dabei der gesetzliche Auftrag, der darin besteht, die Integrität und Stabilität des Finanzsektors zu gewährleisten und die kollektiven Verbraucherinteressen zu wahren – auch in einem zunehmend digitalisierten Marktumfeld.
Zur allgemeinen Marktbeobachtung der Fintechs in Deutschland greift die BaFin regelmäßig auf eine Zusammenschau öffentlich verfügbarer Quellen zurück, die somit auch öffentlicher Kritik zugänglich sind. Vorab prüft sie auch den Zweck, den die jeweiligen Herausgeber mit einer Studie verfolgen. Damit stellt sie sicher, nur hinreichend fundierte und nachvollziehbare Angaben zu Marktbegebenheiten auszuwerten. Darüber hinaus befindet sich die BaFin im laufenden Austausch mit dem Markt und der Wissenschaft.
Auf Basis der zuvor genannten Quellen ergibt sich, dass sich das Marktsegment der Fintechs zurzeit in einer Phase der Konsolidierung befinde. Der Gründungsboom der Jahre vor 2017 habe sich abgeschwächt. Dies liege darin begründet, dass der Wettbewerb zunehme, die Akquisitionskosten an der Kundenschnittstelle hoch seien und Finanzierungsmittel nicht durchgängig zur Verfügung stünden.
Winner-takes-it-all-Phänomen auch bei Fintechs
Bei Start-ups in der Finanzindustrie zeige sich das Winner-takes-it-all-Phänomen. Je Segment erreiche in der Regel nur ein einziges Geschäftsmodell bzw. ein einziges Fintech eine kritische Masse an Kunden bzw. Nutzern, um so interessant für Investoren zu werden. Mit den Finanzierungsmitteln von Investoren könne das Fintech sein Produkt weiter verbessern, mehr Aufmerksamkeit durch Werbung generieren und Mitbewerber letztlich aus dem Markt drängen. Dies trage weiter zur Konsolidierung bei.
Trotzdem: Da die Finanzindustrie im Innovationsstau stecke und die technologische Entwicklung voranschreite, könnten Gründungen auch künftig lukrativ sein. Bei Technologien, die zurzeit und künftig zentral für Fintechs seien, handele es sich um Künstliche Intelligenz – verbunden mit Big Data – sowie um die Distributed-Ledger-Technologie. Auf dieser Basis sei künftig von weiteren und wieder vermehrten Gründungen auszugehen.
Konkurrenz und Kooperation
Etablierte und Fintechs stünden sich an der Kundenschnittstelle im Vergleich zu den Vorjahren deutlich seltener als direkte Konkurrenten gegenüber. Dennoch zeige sich nach wie vor, dass sich Fintechs an der Kundenschnittstelle auf Nischen fokussierten und Lücken füllten, die die Etablierten nicht besetzen wollten oder könnten.
Die Konkurrenz an der Kundenschnittstelle habe dazu geführt, dass viele Fintechs ihr Geschäftsmodell von B2C (Business to Customer) auf B2B (Business to Business) umstellten, nun also nicht mehr an der Kundenschnittstelle in Konkurrenz zu den etablierten Finanzunternehmen träten, sondern als Dienstleister Teil der Wertschöpfungskette einer Bank oder Versicherung würden. Viele Neugründungen fokussierten sich direkt auf B2B. Dieser Trend fördere die Kooperation zwischen Fintechs und Etablierten. Gleichzeitig zeigten sich Kooperationen und auch Übernahmen unter den Fintechs.
Treiber der Kooperationen zwischen Fintechs und Etablierten seien im Wesentlichen die Synergieeffekte auf beiden Seiten. Während Fintechs ihre Agilität und ihr IT-Know-how einbrächten, steuerten die Etablierten ihren Zugang zu den Kunden, ihre großen Datenbestände sowie regulatorisches Know-how bei. Beschleunigend wirke, dass sich Fintechs über die Jahre professionalisiert hätten.
Evolution statt Revolution
Nach wie vor sei der Einfluss der Fintechs auf die Branche evolutionärer Natur. Die noch vor einigen Jahren erwartete Disruption sei bislang ausgeblieben und auch aktuell nicht absehbar. Vielmehr gehe eine potenziell revolutionäre Bedrohung von digitalen, plattformgetriebenen Anbietern aus den USA oder China aus, die den Markt aufrollen könnten, indem sie durch Kooperation oder Zukauf Dienstleistungen der Finanzbranche – über den Zahlungsverkehr hinaus – an der Kundenschnittstelle anbieten (siehe BaFinJournal Oktober 201). Allerdings sei der Erfolg dieser Bigtech-Unternehmen insbesondere im asiatischen Markt nicht direkt auf den europäischen und deutschen Markt übertragbar, da die Marktstruktur und das Nutzerverhalten dort anders seien.
Perspektiven von Fintechs lägen in ihrer Agilität und Innovationsfreude und in den sich ergebenden Synergien mit Etablierten. Auch künftig ließen Etablierte Lücken, die von Fintechs geschlossen würden.
Zu den größten Herausforderungen für Fintechs zählten technische oder unternehmenskulturelle Unterschiede bei der Kooperation mit anderen Unternehmen. Darüber hinaus falle es ihnen gerade zu Beginn ihrer Tätigkeit oder bei Geschäftsmodelländerungen nicht immer leicht, mögliche Aufsichtspflichten festzustellen und umzusetzen.
Rolle der BaFin
Die Aufsichtstätigkeit der BaFin ist wettbewerbs- und technologieneutral. Es gehört nicht zu ihren Aufgaben, Innovationen oder Investitionen zu fördern. Sie betreibt auch keine Industriepolitik.
Ihre Verwaltungspraxis ist – wie das anzuwendende Recht – im Kern technologieneutral ausgestaltet. Die BaFin beaufsichtigt ein Unternehmen, wenn es auf Grundlage der verschiedenen Fachaufsichtsgesetze bestimmte erlaubnis- oder registrierungspflichtige Geschäfte betreibt oder erbringt. Dieser fachgesetzliche Anwendungsbereich bestimmt sich unabhängig von der dazu eingesetzten Technologie. Die spezifischen Risiken dieser Technologien berücksichtigt die BaFin hingegen, wenn sie die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation überwacht, die die relevanten Fachaufsichtsgesetze einfordern.
Informationsangebot und Kontakt zur BaFin
Möglichen Hindernissen bei der Information und Kontaktaufnahme für Unternehmensgründer und Fintechs begegnet die BaFin mit einem umfangreichen Informationsangebot auf ihrer Website. Dort greift sie häufige Fintech-Geschäftsmodelle und deren regulatorische Implikationen auf und ermöglicht es den Anbietern, digital mit ihr in Kontakt zu treten – in deutscher und englischer Sprache. Pro Jahr gehen über diesen Weg rund 150 Anfragen bei der BaFin ein.
Zum Austausch mit dem Markt dienen insbesondere hauseigene Veranstaltungen wie die BaFin-Tech. Sie richtet sich sowohl an etablierte als auch an junge Unternehmen der Finanzbranche. In diesem Jahr ist es gelungen, das Bundesministerium der Finanzen, den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, die Deutsche Bundesbank sowie die Digital Hub Initiative und den High-Tech-Gründerfonds als zwei Initiativen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie einzubinden und die Veranstaltung dadurch von unmittelbaren finanzaufsichtlichen Anforderungen abzuheben. Bei der BaFin-Tech 2019 (siehe BaFinJournal September 2019) fand etwa eine Diskussionsrunde zur Marktentwicklung und zu den Perspektiven von Fintechs mit Marktexperten und dem Plenum statt. Auch dort hat sich bestätigt, dass die proportionale und technologieneutrale Aufsicht sinnvoll und erfolgreich ist.
Der Autor Dr. Fabian Leonhardt arbeitet beim BaFin – Referat Finanztechnologische Innovationen.